Hallo,
seit gestern liegt mir nun Band 3 der neuen Lucky Luke Gesamtausgabe vor und im Großen und Ganzen bin ich damit wieder sehr zufrieden.
Der Band beginnt mit einem ausführlichen und reich wie interessant bebilderten Vorwort von 46 Seiten, das wieder von den Autoren Christelle und Bertrand Pissavy-Yvernault (in Übersetzung von Magali Karee) stammt. Von dem sehr informativen Text, der nicht nur den Werdegang der Autoren in der Entstehungszeit der im Band enthaltenen Comics nachzeichnet, sondern die bedeutendsten Comic-Geschichten auch in ihren jeweiligen Entstehungskontext einordnet, die grafische und inhaltliche Entwicklung des Lonesome Cowboy aufzeigt sowie Inspirationsquellen und Anspielungen der Autoren benennt, bin ich sehr angetan.
Wieder eine schhöne Ergänzung hierzu ist das am Ende des Bandes stehende Nachwort von Volker Hamann über die weitere Entwicklung der deutschen Publikationsgeschichte von Lucky Luke, wobei dieses Mal der Rest der Kauka-Zeit beleuchtet wird. Damit gerät freilich dieser "deutsche Teil" der Hintergrundinformationen sehr weit außer Tritt zu der Chronologie der abgedruckten Comics und des Vorwortes. Diese betreffen die Jahre 1952 bis 1955, während Volker Hamann's Text die Jahre 1967 bis 1973 behandelt. Vielleicht war das anders aber nicht sinnvoll umsetzbar.
Doch ich habe auch ein paar kleine Kritikpunkte an der Ausgabe:
Der Vorwort-Text konzentriert sich bei der Darstellung von Hintergrund und Analyse des Inhalts der Geschichten leider sehr auf die langen Geschichten und lässt die Kurzgeschichten weithin unerwähnt. So wird ausführlich die Geschichte "Lucky Luke gegen Phil Steel 'Spinnenbein'" thematisiert. Die folgende Kurzgeschichte "Lucky Luke und 'Pille'" bleibt hingegen gänzlich unbehandelt. Man kann der bibliografischen Angabe entnehmen, dass sie später in dem Album "Lucky Luke gegen Phil Steel" mitveröffentlicht wurde. Da die Geschichte "Lucky Luke gegen Phil Steel 'Spinnenbein'" 35 Comicseiten hat und die Geschichte "Lucky Luke und 'Pille'" 9 Comicseiten, erscheint es naheliegend, dass sie von Morris zur Auffüllung des 44 Seiten umfassenden Comic-Albums geschaffen wurde. Gleichwohl hätte ein wenig Hintergrund dazu gut getan, denn gerade diese Geschichte - mag sie für die Entwicklung von Lucky Luke auch keine besondere Bedeutung haben - fällt erheblich aus dem Rahmen anderer Geschichten heraus. Darin spielt nicht etwa Lucky Luke die Hauptrolle, sondern er erzählt in einer Lagerfeuerrunde die Geschichte von "Pille", einem kleinen, kurzsichtigen Mann mit Brille, der ein Glückspilz ist, dadurch viele Banditen mehr oder minder zufällig zur Strecke bringt und so Recht und Ordnung wiederherstellt. - Und so wie der Knirps gezeichnet ist, scheint er mir eine Selbstkarikatur von Morris zu sein. Das wäre dann doch schon eine Erwähnnung in dem Einleitungstext wert gewesen.
Auch die Geschichte "Dicke Luft in Pancake Valley" wird in dem Einleitungstext mit keinem Wort erwähnt, was aber schon deshalb interessant gewesen wäre, weil sie als einzige in einem anderen Magazin, nämlich "Risque-Tout", erstveröffentlicht wurde. Wie es hierzu kam, bleibt - bei sonstiger Deteilverliebtheit in der Darstellung von Morris Tätgkeit - unerwähnt.
Dies ist vor allem deshalb so ärgerlich, weil - und dies ist mein weiterer Kritikpunkt - die bibliogaphischen Angaben wie auch die Comicgeschichten selbst die Autorenschaft nicht immer klarstellen. Es ist leider nicht so, dass vor jeder Comic-Geschichte oder an deren Ende "Text und Zeichnungen: Morris" oder "Text: Goscinny, Zeichnungen: Morris" steht. Zwar steht bei den bibliographischen Angaben vor der Geschichte "Die Eisenbahn durch die Prärie" unter dem französischen Titel "Des rails sur la prairie": "Szenario: René Goscinny". Bei den anderen Geschichten findet sich hierzu aber keine Angabe. Ob dies den Umkehrschluss rechtfertigt, die anderen Geschichten seien von Morris, ist nicht klargestellt und erscheint auch nicht selbstredend.
Auffällig ist jedenfalls, dass die vier Comicseiten der Geschichte "Dicke Luft in Pancake Valley" jeweils mit "GR" - gefolgt von der Seitenzahl - gekennzeichnet sind. Das könnte doch wohl gut "Goscinny, René" heißen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Vorwort ausführlich thematisiert wurde, dass Morris seiner Signatur in "Die Eisenbahn durch die Prärie" heimlich "& R.G." hinzugesetzt hat, um auf Goscinny als Miturheber - entgegen dem Wunsch des Verlegers - hinzuweisen und dass Hergé sich hierüber beschwert habe, weil er Verwechslungsgefahr mit seinem Künstlernamen sah. Vor diesem Hintergrund wäre die Umdrehung der Initialen bei der nächsten Geschichte doch immerhin möglich. - Sicher ist es indes nicht, zumal eine Signatur von Morris sich darin überhaupt nicht findet (was zudem ohne jede Erklärung noch Zweifel an seiner Zeichnerschaft dieser Seiten wecken könnte).
Eine weitere Unklarheit betrifft die abgedruckte Fassung der Geschichte "Dicke Luft in Pancake Valley". So steht in den bibliographischen Angaben vor dieser, dass 1980 für das Album "Lucky Luke: Le Justicier" eine "komplett neu gezeichnete Fassung" dieser Geschichte entstanden sei. Unausgesprochen bleibt jedoch, ob die abgedruckte Version nun die originale oder die später neu gezeichnete Fassung ist. - Ich
vermute ersteres, weil eine Fassung von 1980 nicht in die Chronologie der Gesamtausgabe passen würde und der Stil für meine Augen auch nach einem eher frühen Lucky Luke aussieht. Eine Klarstellung wäre hier aber sehr sinnvoll gewesen (zumal ja auch unklar ist, ob die andere Fassung der Geschichte für einen späteren Band geplant ist, sofern die neue Gesamtausgabe bis 1980 durchhalten sollte).
Sucht man nach dem Titel der Geschichte "Dicke Luft in Pancake Valley" bei Google, findet man die Angabe, dass diese von Morris getextet sei (z.B.
bei khalisi.com). Dies bezieht sich aber auf die Neufassung von 1980 und legt nicht die Quelle der Erkenntnis offen. Ob das auch auf die ursprüngliche Fassung von Dezember 1955 zutrifft, konnte ich nicht herausfinden, zumal auch selten ausdrücklich zwischen beiden getrennt wird.
Was die Comic-Geschichten inhaltlich betrifft, konnte ich mich bei den längeren Episoden dunkel erinnern, sie früher schon einmal gelesen zu haben. Dem Vorwort-Text ist m.E. durchaus zuzustimmen, dass die Geschichte um Phil Steel von den Morris-Solo-Bänden wahrscheinlich die beste ist - was allerdings nichts daran ändert, dass ich das Ende früher wie heute unbefriedigend und zu erzwungen fand und finde. Soweit ich mich erinnere, war vorher und später auch nie davon die Rede, dass Lucky Luke keinen Standard-Sechsschüsser benutzt. Die Erklärungsversuche im Vorwort, dass es historisch einen neunschüssigen Revolver auf dem Markt gegeben habe, überzeugen mich nicht davon, dass dieser "Kniff" erzählerisch gelungen ist. Aber es sind schon einige gute, humorvolle Einzelszenen in dem Band enthalten und als Antagonist ist Phil Steel auch durchaus gelungen.
"Die Eisenbahn durch die Prärie" als erster Goscinny-Band ist sicher nicht schlecht, wobei ich aus der dunklen Erinnerung doch meine, dass es noch bessere Bände gab. Meine liebsten waren seinerzeit "Daily Star" und "Billy the Kid". In "Die Eisenbahn durch die Prärie" sind zwar ein paar gute Gags drin, es scheint aber alles ein wenig oberflächlich und gehetzt. Der große Quantensprung von "Phil Steel" zur "Eisenbahn durch die Prärie" ist es nun auch nicht unbedingt, eher eine sanfte Steigerung mit noch Luft nach oben. Ich bin gespannt, ob, wann und wie schnell die Geschichten - in meinen heutigen Augen - besser werden.
Mit Band 4 der neuen Gesamtausgabe dürfte es dann aber ja zunächst mit dem Morris-Solo-Band "Der falsche Mexikaner" weitergehen, wenngleich der Goscinny-Anteil mit den dann folgenden zwei Alben gleichwohl schon größer sein wird. - Einzig finde ich es etwas heikel, dass ein Band 4 bis heute auf der Egmont-Shop-Seite noch nicht einmal angekündigt ist. Hoffentlich bedeutet das nichts Schlechtes im Sinne eines allzu frühzeitigen Endes der Ausgabe. Das fände ich sehr schade.
Gruß
Erik