Hallo liebes Forum,
ich habe den neuen Band jetzt schon zwei Mal gelesen und ich bin positiv überrascht, obwohl ich sonst sehr kritisch über die Neuerscheinungen urteile. Das Autorenteam hat eine erhebliche Steigerung gegenüber dem vorherigen Abenteuer „bei den Pikten“ hinbekommen, und wie ich finde, solide Arbeit abgeliefert. Es scheint, dass Ferri und Conrad jetzt allmählich ihren eigenen Stil finden. Sowohl der zeichnerische Stil, der meines Erachtens durch reichhaltige Panels gekennzeichnet ist, wie wir sie aus der Zeit von „Asterix bei den Schweizern“ kennen. Als auch der erzählerische Stil, der sich jetzt wesentlich substanzieller zeigt und sich damit angenehm von Uderzos letzter Schaffensperiode abhebt. Wenngleich natürlich die Messlatte Goscinny per se wohl unerreichbar hoch hängt.
Was die Handlung angeht, möchte ich noch keine detaillierte Beurteilung abgeben. Es sei nur gesagt, sie erscheint mir nicht so inhaltsarm und vorhersehbar wie bei den Pikten, es geht deutlich spannender zu, mitunter auch mal lustig und unterhaltsam. Es gibt keine überflüssigen Charaktere, wie im letzten Abenteuer Publius Plusminus; insgesamt ergibt sich ein rundes und stimmiges Gesamtbild. Gleichwohl sehe ich die Gefahr, dass Conrad und Ferri die Abenteuer, sowohl was die Intensität der Handlungen als auch die Hommagen an ältere Bände angeht, tendenziell etwas zu sehr überfrachtet haben. Ihre Devise könnte sein: Viel hilft viel. Doch „…Man kann auch mit bescheidenen Mitteln eine Menge machen“ , das wusste schon Statthalter Virus

. Und natürlich Goscinny, der keine opulente Erzählweise benötigte, um gute Pointen zu erzeugen. Daran könnten die Autoren sicherlich noch feilen, denn sie können ja nicht jeden Band noch einen Zahn zulegen.
Dass Conrad und Ferri trotzdem behutsam mit dem Erbe Asterix umgehen, zeigt die starke Anlehnung an das bisher Bekannte. Das tut der Reihe mal ganz gut. Auch bei den Pikten waren schon sehr viele Hommagen an ältere Werke der Reihe drin, es sind tendenziell deutlich mehr geworden. Ich denke, dass zukünftig immer mehr Eigenideen der Autoren einfließen müssen, und die Frage ist, ob die Autoren dies leisten können.
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Als eine dieser Eigenideen darf die Taubenpost gelten; Ansätze hierzu gab es schon früher (Fliege bei der Odyssee, „Owerneitkurier“ für Cäsar bei Latraviata, SMS-ix im Film bei den Wikingern). Das Problem ist, dass meiner Meinung nach Conrad und Ferri deren Bedeutung und Einsatz etwas zu übertrieben in den Vordergrund gestellt haben, wenn die Römer nunmehr die ganze Zeit am Gurren sind. Das Ausmaß dieser Taubenplage würde im Interesse der Stringenz der Reihe erfordern, dass Tauben auch zukünftig Bestandteil der römischen Legion in den Folgebänden wären. Obwohl sie nicht gleichermaßen im Vordergrund künftiger Geschichten stehen müssten, wäre es doch sehr irritierend, würde auf sie in folgenden Abenteuern verzichtet. Daher müssen Conrad und Ferri aufpassen, dass sie sich in ihrem Erzählstrang nicht zu abhängig von ihren neu erfundenen Elementen machen.
Ein zweiter Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Bezugnahme auf konkrete Orte, wie sie bereits früher in der Reihe vorkamen. Das prominenteste Beispiel ist der Karnutenwald. Sieht er bei den Goten noch wie ein normaler Wald aus, wird er jetzt – wie ich finde sehr gelungen – deutlich stärker als heilige gallische Stätte mystifiziert. Ich nehme an, dass das Druidentreffen „bei den Goten“ nahe am Waldrand stattgefunden hat und wir Leser jetzt erstmals tiefer in diesen sagenumwobenen Wald vorstoßen dürfen, dessen Betreten ja Nicht-Druiden, ergo auch dem Leser, verwehrt ist. Es ist einerseits spannend, solche „unbesuchten“ bekannten Orte des Asterix-Universums zu Gesicht zu bekommen. Doch solche „Premieren“ wie die „Entzauberung“ des Karnutenwaldes sind nur ein einmaliges, nicht wiederholbares Stilelement, das schnell wieder verpufft. Ein zweites Beispiel ist der erstmals tiefere Einblick in die Wohnung von Troubadix. Diese kennen wir bisher nur im verlassenen oder leergeräumten Zustand (bzw. in einem sehr kleinen Ausschnitt bei „Asterix in Spanien“). Auch hier wieder eine Entzauberung eines bisher verschlossenen Ortes im Asterix-Universum. Dieses Stilelement, uns neue Einblicke in das Asterix-Universum zu gewähren, sollte von Conrad und Ferri besser sparsam verwendet werden, denn allzu viele Orte, die man noch entzaubern könnte, gibt es nicht mehr, und es handelt sich um einen einmaligen, nicht wiederholbaren Effekt.
Zu den berühmten Persönlichkeiten fällt mir auf, dass neben dem bereits angekündigten Jaques Séguéla auch Christine Lagarde (IWF-Chefin, neben ihm sitzend) karikiert sein dürfte. Das Gesicht von Keinkompromis kommt mir sehr bekannt vor, als hätte ich es schon einmal irgendwo bei den Ägyptern oder Kleopatra gesehen (bloß in welchem Zusammenhang?) Was meint ihr?
Besonders auffällig ist die hohe, nochmals gesteigerte Schlagzahl der Hommagen an vergangene Bände. Dies betrifft sowohl die Bildkomposition, Farbgebung als auch die Inhalte, bei denen häufig Panels älterer Bände als Vorbild dienen oder zitiert werden. Ich bezweifle, dass Conrad und Ferri diese Intensität dauerhaft in zukünftigen Bänden aufrechterhalten können. Es bereitet einerseits riesigen Spaß, die vielfältigen Hommagen und Bezüge zu entdecken, andererseits müssen auch hier die Autoren noch ein richtiges Maß finden.
Nachfolgend nur ein paar Beispiele, die mir so bisher aufgefallen sind, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
* Die Raumaufteilung im Keller von Syndicus, die an die römische Taverne erinnert, in der Asterix und Obelix den Sklaven Kaltmamsellos einladen (Die Lorbeeren des Cäsar)
* Die Kolorierung der nächtlichen Außenansicht von Syndicus‘ Villa, die sehr an das Stadt-Domus des Claudius Überflus erinnert (ebd.).
* Das Motiv eines Miraculix mit Tauben in der Hand, die er füttert , taucht in anderen Bänden auch häufiger auf (mir ist gerade entfallen, wo).
* Die Orgie des Syndicus in Rom, die Ähnlichkeiten mit den beiden „bei den Schweizern“ hat, vor allem in solchen Details wie der „dicken Luft“ im Raum, betrunkenen Römern, die sich am Boden liegend mit Wein abfüllen lassen oder deren Kopf in irgendwelchen Gefäßen steckt.
* Polemix, der wie Pepe (Asterix in Spanien) praktisch wehrlos im Wald vor den Römern flüchtet, dabei in den – pardon – fülligen Körper von Obelix hineinrennt und auf diese Weise gerettet wird. Selbst die Art, wie der Legionär die Arme ausbreitet, um seine Kameraden zurückzuhalten, ist vom entsprechenden Panel bei den Spaniern abgeschaut.
* Obelix, mit seiner geflüsterten Aussage „Das ist ein Kolporteur von Neuigkeiten. Er trägt Tauben mit sich rum und isst sie nicht mal auf.“ – vergleiche die Aussage (sinngemäß): „Das ist ein Brite. Den darf man nicht so sehr schütteln, auch wenn er darum bittet“ (Asterix bei den Briten).
* Römer, die in Bäumen versteckt das Dorf observieren (bei den Spaniern)oder als Bäume getarnt sind (Kampf der Häuptlinge),
* Der Neuling Pfifficus, der sich die Sticheleien seiner Kameraden anhören muss (vgl. Gutzufus bei den Normannen), ebenfalls besonders strebsam ist und versucht sich beim Zenturio einzuschleimen („soll ich mich ranschleichen, um mehr zu erfahren, Zenturio?“). Dieser Römer gefällt mir, ich glaube er muss noch viel lernen

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* Das Motiv des denkenden Obelix, auch wenn ihm diesmal nicht der Kopf raucht (vgl. „Die große Überfahrt“).
* Das Motiv der akustischen Signalweitergabe (Asterix auf Korsika), die in dieser Signalkette auf einem hohlen Stamm trommelnden Gallier (Indianer im Heft „die große Überfahrt“) oder die Kesselfrau, die doch sehr an Madame Alkoholix erinnert (Arvernerschild).
* Der Karnutenwald, sogar mit demselben gelben Schild „…für Nichtdruiden verboten“ wie „bei den Goten“ und das Motiv des Druiden, dessen Behausung im Wald liegt (vgl. Miraculix in seinem ersten Auftritt „bei den Galliern“ sowie Amnesix (Kampf der Häuptlinge).
* Auch kleine Details, wie das Hünengrab, unter dem man Unterschlupf sucht und die an der Wand bei Archaeopterix hängenden Sicheln, die so aussehen, als hätte sie Talentix geschmiedet (beides Hommagen an die goldene Sichel) oder das (nur von der Seite sichtbare) Logo auf der Postkutsche (Tour de France).
Ich bin mir sicher, es lassen sich Zitate bzw. Hommagen an so gut wie alle Bände der Reihe finden. Conrad und Ferri müssen hier aufpassen, dass sie die richtige Dosis finden und den Bogen nicht überspannen.
Summa summarum muss ich sagen, dieser Band ist ein zufriedenstellender Lichtblick und schön zu lesen. Die Logikfehler halten sich auch in Grenzen. Ich verstehe nicht so ganz, warum sich Obelix von einem Horoskop so verunsichern lässt, dass er Römer und Wildschweine sausen lässt. Er ist doch nicht so anfällig für Esoterik (siehe Seher)? Auch hätte ich erwartet, dass er als langjähriger Hinkelsteinlieferant weiß, wie man Hünengräber wieder zusammenbaut. Auch wenn das Ergebnis zugegeben ganz lustig ist.
Warum gibt es eigentlich Bären in gallischen Wäldern? Obelix sagt doch bei der großen Überfahrt „Bei uns im Dorf gibt es keine Bären“. Als Wildschweinjäger muss er es ja wissen. Wahrscheinlich ist deren Vorkommen auf den Karnutenwald beschränkt. Und dann rosa Einhörner. Nunja… Geht in Ordnung, da nur auf zwei Panels sichtbar. Einen Drachen im gallischen Wald gabs ja auch schon. Offensichtlich war es damals halt etwas gefährlicher in den gallischen Wäldern... Gut, dass die Einhörner nicht so im Vordergrund standen wie Fafnie, wahrscheinlich haben Conrad und Ferri darauf reagiert, dass das vielfach kritisiert worden ist und dazugelernt. Das macht Mut für die Zukunft der Reihe. Beim Teutates!